1. Mythos: Deutschland benötigt keine ausländischen Arbeitskräfte

Diverse Akteur:innen, vor allem aus dem rechten Spektrum, werben immer wieder lautstark für einen Stopp von Migration und Arbeitskräften aus dem Ausland. Beispielsweise schrieb die AfD in ihrem Bundestagswahlprogramm, dass der vorherrschende Fachkräftemangel lediglich eine Behauptung einiger Wirtschaftsverbände sowie Lobbyist:innen wäre und dürfe deshalb nicht „maßgeblich“ sein[1].

Jedoch gibt es keinerlei Beweise dafür, dass sich hinter dem Fachkräftemangel ein Vorwand für eine verstärkte Einwanderung nach Deutschland versteckt. Im Gegenteil: Zahlen belegen, dass die Wirtschaft unter dem Mangel an Fachkräften leidet. Im Jahr 2017 fand das Institut der Deutschen Wirtschaft im Rahmen einer Studie heraus, dass in sogenannten Engpassberufen zwei von drei Stellen unbesetzt blieben bzw. nur mit großer Mühe besetzt werden konnten[2]. In Wirklichkeit wird sich die Situation noch weiter verschlechtern, denn die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter soll Prognosen zufolge in Deutschland bis 2060 um mehrere Millionen sinken[3]. Es gibt unterschiedliche Ursachen dafür. Ein wesentlicher Faktor ist die alternde Gesellschaft, die mit dem demografischen Wandel einhergeht. Es gehen in Deutschland mehr Menschen in Rente als junge Nachwuchskräfte nachrücken, wodurch sich ein Rückgang der erwerbsfähigen Bevölkerung sowie ein Defizit in den Rentenkassen beobachten lässt[4].

In diesem Zusammenhang muss auch betont werden, dass Deutschland kein Paradies für Fachkräfte aus dem Ausland ist. Mit der derzeitigen “Willkommenskultur” werden Fachkräfte eher abgeschreckt. Die Behauptung, Deutschland sei ein zu attraktives Einwanderungsland ist ein Irrglaube, vielmehr konterkariert die gegenwärtige Migrationspolitik die Anwerbeziele von Fachkräften und schadet somit dem Wirtschaftsstandort im direkten Konkurrenzkampf mit anderen Zielländern[5]. Zur aktuellen Migrationspolitik gehört auch die Fehleinschätzung, dass sich Migration mit gewissen Maßnahmen steuern ließe. In der Öffentlichkeit propagieren manche Politiker:innen, dass die Migration auf eine bestimmte Zahl begrenzt werden solle, wie zum Beispiel auf 100.000 Geflüchtete im Jahr. Doch die Einführung einer Obergrenze ist absurd und inhuman, sie würde die Veränderung des Asylrechts und somit des Grundgesetzes bedeuten.

Jedenfalls sind Arbeitskräfte für Unternehmen in Deutschland notwendig, nicht nur gut ausgebildete Fachkräfte, sondern auch geringqualifizierte Mitarbeiter:innen. Für viele erscheint das überraschend, weil in den öffentlichen Debatten stets von der Forderung eines Stopps für Arbeiter:innen aus dem Niedriglohnsektor gesprochen wird. Zu diesem Mythos gehört auch der Irrglaube, dass Deutschland die Migration nur von gut ausgebildeten Fachkräften benötigen würde. Grundsätzlich hält der Sozialwissenschaftler Hein de Haas fest, dass Migration im Normalfall nur dann geschieht, wenn es auch Arbeit gibt. Demnach steht die Annahme, Deutschland benötige keine ausländischen Arbeitskräfte, diametral entgegen dem wichtigsten Grund von Migration: die anhaltende Nachfrage nach Arbeitskräften.

Hein de Haas schreibt in seinem Buch: „auch wenn Politiker:innen das Gegenteil behaupten, für die meisten Migrant:innen gibt es eine Arbeit. Und entgegen der landläufigen Meinung werden nicht Fachkräfte, sondern geringqualifizierte Arbeitskräfte besonders nachgefragt“[6].

In Wahrheit benötigt die alternde und gebildete Gesellschaft in Deutschland Arbeitsmigration, wenn sie weiterhin Wirtschaftswachstum verzeichnen möchte. Folgerichtig ließe sich Migration am besten begrenzen, wenn man die Wirtschaft abwürgen würde. Doch das sollte nicht der Anspruch einer wachstumsorientierten Gesellschaft wie Deutschland sein.

[1] Alternative für Deutschland (o.D.). Bundestagswahlprogramm – Asyl & Einwanderung. Zuletzt aufgerufen am 26.08.2024 unter https://www.afd.de/wahlprogramm-asyl-einwanderung/
[2] Institut der Deutschen Wirtschaft Köln (2017). Fachkräfteengpässe in Unternehmen- Rezepte gegen den Fachkräftemangel: Internationale Fachkräfte, ältere Beschäftigte und Frauen finden und binden. Zuletzt aufgerufen am 26.08.2024 unter https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/Kofa-Studie_4_2017_Fachkraefteengpaesse.pdf
[3] Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (2023). Das Erwerbspersonenpotenzial schrumpft bis 2060 um 11,7 Prozent. Zuletzt aufgerufen am 26.08.2024 unter https://iab.de/presseinfo/rueckgang-des-erwerbspersonenpotenzials-bis-2060-um117-prozent/
[4] Statistisches Bundesamt (o.D.). Demografischer Wandel. Zuletzt aufgerufen am 26.08.2024 unter https://www.destatis.de/DE/Im-Fokus/Fachkraefte/Demografie/_inhalt.html
[5] Marcel Fratzscher (2024). Darum ist Zuwanderung die Grundlage für unseren Wohlstand- DIW Berlin. Zuletzt aufgerufen am 26.08.2024 unter https://www.diw.de/de/diw_01.c.905086.de/nachrichten/darum_ist_zuwanderung_die_grundlage_fuer_unseren_wohlstand.html
[6] Hein de Haas (2023), S. 146. Migration: 22 populäre Mythen und was wirklich hinter ihnen steckt.